CMI bedeutet „Collaboration for Mission International“, offiziell bin ich also jetzt schon seit mehr als 7 Monaten auf „internationaler Mission“ in Mérida. Aber was ist meine Mission hier eigentlich?
Wer Mexiko hört, denkt oft zuerst an Drogenkriege, Kriminalität, Unsicherheit, vielleicht auch an Armut und die extremen Menschenmassen in Mexiko City. Dass das aber nur einige wenige der unzähligen Realitäten Mexikos sind, habe ich hier schnell mitbekommen. Konnte ich mir die Armut ungefähr vorstellen, hätte ich nicht gedacht, daneben solchen Luxus und Reichtum anzutreffen. Die soziale Ungleichheit ist in Mérida wie in fast ganz Mexiko sehr hoch und sogar geographisch spürbar: Im Norden der Stadt findet man riesige Shoppingmalls, Bankenhochhäuser und Villen mit Hintergärten die eher nach Parkanlagen aussehen. Von meinem Zuhause aus bin ich zu Fuss innerhalb von zehn Minuten im Kino, in Restaurants oder in Bars und ich muss mir normalerweise auch keine Sorgen machen, wenn ich allein im Dunkeln unterwegs bin.
Fährt man dagegen in den Süden Méridas, verschwinden die amerikanischen Fastfoodketten und schicken Villen, die Familien leben hier meist in einfachen Betonhäusern und die Unsicherheit ist viel höher. Wegen der teuren Privatschulen und Universitäten und der kostenlosen staatlichen Schulen hat diese soziale Kluft zwischen arm und reich natürlich auch grosse Auswirkungen auf die Bildung und damit Berufschancen der Jugendlichen. In den staatlichen Schulen fehlt es oft an Geld und die Lehrer sind schlechter ausgebildet, die Kinder hier kommen aus komplett anderen Realitäten. Während an der (privaten, da katholischen) Maristengrundschule bunte Bilder von Marcellin Champagnat an die Wände gemalt sind, habe ich an einer öffentlichen Grundschule zum Beispiel ein grosses „Sag nein zu Drogen!“ an der Wand gesehen. Ärmere Familien, die meist Nachkommen der indigenen Maya-Bevölkerung sind, haben oft keinen Zugang zu einer guten Bildung und somit schlechtere Berufschancen – ein Teufelskreis also.
Um diese grosse Ungleichheit zu verbessern, lautet ein grosser Teil der „Mission“ der Maristen in Mérida Gemeinde- und Sozialentwicklung. Die Maristen sind mit drei Privatschulen im Norden (Universität, Mittel- und Oberstufe sowie Grundschule) sowie einem Gemeindeentwicklungszentrum, einem Physio-therapiezentrum und zwei weiteren Schulen im Süden vertreten. Die Angebote der Zentren sind kostenlos und die Schulen im Süden verlangen zwar Schulgebühren, allerdings sehr niedrige. Daneben werden an Studenten aus einkommensschwachen Familien oft Stipendien vergeben. In der Universität gibt es unter anderem viele Projekte zur Gemeindeentwicklung, die der meist armen Bevölkerung der Dörfer in der Umgebung Méridas helfen soll. Hier unterstütze ich die Maristen zum Beispiel im Projekt Huertos oder in den Englischkursen, die ich in Progreso gebe.
In Mexiko wird das Wort „Misiones“ sogar wörtlich genommen. Viele mexikanische Jugendliche verbringen die Osterwoche in einem Dorf, um dort beim Katechismus (Religionsunterricht, der von der Kirche aus organisiert wird) zu helfen und Zeit mit den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen des Dorfes zu verbringen. Ich war mit zwei Studenten der Uni und unserer Gruppenleiterin Letty in X-cohuo, einem kleinen Dorf etwa zwei Stunden von Mérida entfernt. Die Zeit dort war eine sehr besondere Erfahrung, und ich habe einmal mehr erlebt, dass die, die am wenigsten haben, oft am meisten geben.
Dabei sehe ich mich aber nicht als europäische Missionarin, die kommt, um die mexikanische Gemeindeentwicklung entschieden voran zu bringen. Vielmehr sehe ich in meiner Zeit in Mexiko einen Austausch von Zeit, Kultur, Bräuchen, Gedanken und Ansichten. Ich bin nicht hier, um die Projekte wortwörtlich mit europäischem Geist zu missionieren – und das ist auch überhaupt nicht nötig. Die Projekte würden wohl alle gut ohne mich funktionieren, aber gleichzeitig sind sie offen für Neues. Ich kann mich mit meinen Ideen und Fähigkeiten einbringen indem ich Englisch unterrichte, in Huertos oder im Colegio Montejo mithelfe, oder einfach Zeit mit den vielen Menschen, die ich kennenlerne verbringe. Vor allem auf Misiones haben wir viel Zeit damit verbracht, die Familien zu besuchen, mit den Menschen zu reden und die Ostertage mit ihnen vorbereiten und zu feiern. Und dabei konnte ich selbst sehr viel lernen.
Denn nicht zuletzt denke ich, dass mein Aufenthalt auch eine grosse Portion Selbstzweck ist. Allein mein oberflächliches Schulspanisch im Alltag immer mehr verbessern zu können, und dabei mitzubekommen, wie sich die Mentalität der Menschen in deren Sprache widerspiegelt, ist eine wahnsinnige Bereicherung. „Mi casa es tu casa“ zum Beispiel, das Leitmotto mexikanischer Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit, das ich hier immer wieder höre, klingt auf deutsch einfach komisch: „Mein Haus ist dein Haus“?
Aber nicht nur die Sprache, auch Begegnungen und Erfahrungen, die ich hier bisher erlebt habe, werden mich sicher mein ganzes Leben begleiten, und dafür bin ich jetzt schon unglaublich dankbar. Wenn ich dabei ein bisschen was von dem in den Menschen hinterlassen kann, was mir selbst hier geschenkt wurde und wird, gilt für mich „mission accomplished“.
Angela im Mai 2017