Ich kann gar nicht begreifen, dass ich jetzt schon seit fast vier Monaten wieder in Deutschland bin. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie ich im Flugzeug saß, kurz vor der Landung in München, und mit dem Staunen gar nicht mehr aufhören konnte. In diesem Moment sah alles für mich aus wie eine Bilderbuchlandschaft. Die grünen Felder, die mir auf einmal noch grüner vorkamen und dazwischen die schönen roten Dächer der Häuser. Ab und zu schimmerte noch ein blauer See dazwischen auf und das wars. Ich sah keine trockene karge Landschaft, keine Kilometer unbebauter Flächen und keine Müllberge.
In diesem Moment wurde mir bewusst in was für einer komplett anderen Welt wir doch leben. Ich habe einige Wochen gebraucht, um zu realisieren, dass ich nicht mehr in Südafrika bin. Über so viele Dinge konnte ich mich aufregen, beispielsweise über die “Problemchen”, über die so viele hier jammerten. Manchmal musste ich mich zusammenreißen nicht los zu lachen. Ich dachte dabei an meine Familie und Freunde in Südafrika und fühlte mich einfach nur schlecht, in so einem Luxus zu wohnen, während sie jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Aber es wäre auch gelogen, wenn ich es nicht gleichzeitig ein bisschen genossen hätte wieder in meinem eigenen großen Bett zu schlafen, im Supermarkt einfach alles in den Wagen zu legen, worauf ich Lust habe oder mal wieder ins Kino zu gehen.
Jetzt, vier Monate später, erwische ich mich selbst, wie ich manchmal in den alten Trott verfalle und dann enttäuscht von mir selber hochfahre, wenn ich es erkenne. Dann hole ich mein Handy raus und schaue mir die Bilder von meinem Auslandsjahr an. Mir wird dabei jedes Mal wieder bewusst wie sehr ich es doch vermisse. Ich vermisse es von meinen kleinen Gastbrüdern geweckt zu werden. Ich vermisse es jeden Morgen in den Créche zu gehen und schon am Gartentor von allen erdrückt zu werden. Ich vermisse meine kleine Wohngemeinschaft mit Veronica, Thandi und Shari. Ich vermisse es, am Abend mit Sister Martha und Sister Breda Rummikub zu spielen. Ich vermisse die Sonntage in der Kirche mit Father Siswe und unserer Gemeinde. Um genau zu sein, vermisse ich fast alles. In diesen Momenten wünsch ich mir einfach nur in den nächsten Flieger zu steigen und runter fliegen zu können, oder wenigstens eine bessere Internetverbindung in Afrika, um wenigstens mal ordentlich telefonieren, geschweige denn skypen zu können. Es ist schwer die Menschen, die man ein Jahr lang jeden Tag gesehen und gesprochen hat auf einmal nur noch auf Bildern zu sehen. Im Vergleich mit dem Abschied damals von Deutschland weiß ich hier nicht, wann ich sie alle das nächste Mal sehen werde und ob sie überhaupt noch da sind, wenn ich wieder runter fliegen werde, oder ob sie schon in ein anderes Township umgezogen sind. Ich frage mich, wie es meinen ganzen Kindern aus dem Créche wohl geht, ob sie alle gesund sind und ob sie mich vielleicht schon vergessen haben oder nicht. Aber diese Dinge muss man akzeptieren und so positiv sehen wie möglich. Denn eine Sache kann mir keiner nehmen, weder die Entfernung noch die Zeit. Das sind all die wertvollen Erinnerungen und Erfahrungen die ich sammeln durfte und die ich mein ganzes Leben lang in meinem Herzen tragen werde.
Mittlerweile sehe ich die Dinge ein wenig anders, als noch vor ein paar Monaten. Wir können genauso wenig etwas dafür, dass wir in so einem sicheren und wohlhabenden Land wie Deutschland aufgewachsen sind, wie die Menschen, die eben in Südafrika oder in jedem anderen Land groß geworden sind. Wir müssen uns deshalb nicht schlecht fühlen oder auf alles verzichten. Es kommt darauf an am Boden zu bleiben und sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. Jeder von uns kann etwas Positives beitragen, um noch so kleine Dinge zu verändern, die im Großen vielleicht bedeutungslos erscheinen, für den Einzelnen jedoch lebensverändernd sein können. Ob es der Versuch ist weniger Plastik zu verwenden, um den Müll und die Verschmutzung zu reduzieren. Oder der Versuch weniger Lebensmittel weg zu schmeißen und Reste zum Beispiel an die Tafel zu geben. Wir können uns in sozialen Projekten engagieren und Dinge in Bewegung setzten, und das kann jeder Einzelne von uns.
Und genau das sollten wir vor allem als ehemalige Volontäre umsetzten. Wir wissen, wie es in den Entwicklungsländern aussehen kann und wir haben ein Jahr lang Erfahrungen gesammelt. Und zwar nicht um sie nur im Fotoalbum anzuschauen (das natürlich auch), aber in erster Linie um diese Erfahrungen zu nutzen anderen Menschen zu helfen und sich in jeglicher Form zu engagieren. Menschen über Dinge, die wir gelernt haben aufzuklären und mehr junge Leute zu animieren dasselbe zu tun. Ich bin einfach so unfassbar dankbar, dass ich diese Reise erleben durfte und damit nicht nur anderen Menschen helfen konnte, sondern auch mir. Ich bin auf alles gespannt was die Zukunft noch bringt und was wir gemeinsam noch alles schaffen können.
Selina im September 2018