Erstmal ein herzliches Hola aus meiner neuen Heimat San José de Chiquitos mitten im bolivianischen Trockenwald, das liegt ungefähr vier Stunden mit dem Auto im Osten von Santa Cruz de la Sierra entfernt und ist von allen Seiten mit Bäumen und grüner Natur umgeben, da San José gerade noch im Einzugsgebiet vom Amazonasregenwald liegt. Diese wunderschöne tropische Natur mit all den exotischen Früchten wie Bananen, Mangos, Papayas, Motojoes, Sininis, Acerolas, Yuka und all die Namen die ich schon wieder vergessen habe, durfte ich in meinen ersten zwei Monaten hier auch schon genießen, denn von dem naheliegenden Berg Turubo und zwei Aussichtspunkten auf der Bergkette im Süden von San José sieht man grün in allen Richtungen, freilebende Affen, Tukane und farbenfrohe Schmetterlinge. Hin und wieder kommen uns in der Maristen Kommunität auch Tukane besuchen, die die Papayas von unseren Papaya Bäumen plündern.
Ich lebe hier mit meinen Gasteltern Eloísa und Andrés, die die Kommunität als Laienmaristen übernommen haben, da es hier in San José keine Maristenbrüder mehr gibt. Insgesamt geht’s mir hier ganz gut, auch wenn sich das Einleben ein bisschen schwierig gestaltet, denn zur Zeit befindet sich Bolivien in einer politischen Krise, die in diesem Ausmaß niemand erwartet hätte. Nach den Präsidentschaftswahlen am 20. Oktober stand Evo Morales, der bereits zum vierten Mal kandidiert hat, im Verdacht, die Wahl zu seinen Gunsten manipuliert zu haben. Deswegen rief das Zivilkomitee einen 21-tägigen Generalstreik im ganzen Land aus, das bedeutete Straßenblockaden auf allen Verbindungsstrecken zwischen den Städten, Demonstrationen und teilweise auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei, Militär und Ausständler, bis Evo Morales schließlich abgedankt hat und nach Mexiko geflohen ist.
Für mich bedeutete die ganze Situation erstmal dreieinhalb Wochen keine Schule, was sich zunächst erstmal nach Urlaub anhört, sich aber letztendlich als nervenaufreibendes und von Unsicherheit geprägtes Warten auf ein Ende dieser politisch besorgniserregenden Situation entpuppte. Geschäfte hatten geschlossen, Demonstrationen füllten die Abende regelmäßig mit ihren Schlagrufen und zweimal wurde uns auch das Wasser abgedreht, was natürlich ein bisschen ungünstig ist, wenn man gerade unter der Dusche steht. Als dann auch noch das Gas ausfiel, wollten wir draußen über offenem Feuer kochen, aber dann kam uns das tropisch humide Wetter in die Quere und es fing zu regnen an, was eigentlich ziemlich wichtig ist, denn die Landschaft ist am Austrocknen, aber mit Kochen wurde es dann auch nichts mehr. Eigentlich ein kleines Abenteuer hier in Bolivien, aber ohne richtige Arbeit fällt einem schon mal die Decke auf den Kopf, deswegen habe ich zwei Gitarren für das Pastoral repariert und über den Eingang der Maristen Kommunität „Comunidad Marista San José“ und „Willkommen“ in sechs verschiedenen Sprachen neben einem Zitat von Marcellin Champagnat an die Hauswand gemalt.
Aber ehrlich gesagt bin ich echt froh, dass der Generalstreik nach all den Turbulenzen im Land jetzt ein Ende hat und morgen wieder die Schule beginnt, somit kehrt wieder Hoffnung zurück ins Land und es geht wieder bergauf! Glücklicherweise habe ich in dieser schwierigen Zeit einen argentinischen Pfarrer kennengelernt, der auch mal Freiwilliger in den USA war, denn gemeinsam werden wir jetzt eine größere Ministranten Gemeinschaft aufbauen und ich darf auch immer mal wieder zum Mittagessen vorbeischauen oder bei ihm im Garten die Kakteen umpflanzen.
Mein eigentlicher Arbeitsplatz liegt in der Vorschule der Grundschule der Maristen, wo ich die Lehrerinnen mit ihren vier- und fünfjährigen Kindern beim Zahlen- und Buchstaben lernen unterstütze. An zwei Vormittagen begleite ich die Englischlehrerin in die zweite, dritte und sechste Klasse, wo wir den Kinder spielerisch mit vielen Liedern die englische Sprache näherbringen und ich auch gelegentlich alleine vor der Klasse stehe und dann versuche vor allem die Aussprache der Schüler zu verbessern. Nachmittags war ich in den wenigen Wochen, die ich vor dem Generalstreik wirklich gearbeitet habe, in den Werkstätten der weiterführenden Schule, wo die Jugendlichen für ihren Abi-Abschluss auch handwerklich tätig sind. Insgesamt gibt es eine Schreinerei, eine Elektrizitätswerkstatt, eine Metallverarbeitungswerkstatt und ein Landwirtschafts- und Gartenpflanzenprojekt. Ich habe in der Schreinerei begonnen, ein Regal für die Kapelle zu schreinern, allerdings ist dieses Projekt eingeschlafen als der Generalstreik begann. In der nächsten Zeit werde ich mich auch in dem Landwirtschafts- und Gartenpflanzenprojekt einbringen und beim Sportunterricht helfen.
Auch habe ich noch wenig Ahnung, was mich im Zentrum für Kinder mit Behinderungen erwartet, obwohl mir mein erster und bisher einziger Besuch verraten hat, das in vielen kleinen Werkstätten, wie ein Schulgarten, eine Physiotherapie, eine Armbänderwerkstatt, ein Malkurs, eine Schnitzerei und noch vieles mehr, explizit auf die einzelnen Schwächen der Kinder und Jugendlichen eingegangen werden kann. Somit freue ich mich schon, in der nächsten Zeit auch dort tätig zu werden. Samstag nachmittags verbringe ich die Zeit im Pastoral, das sind Jugendgruppen, die aufgeteilt in drei Altersgruppen gemeinsam Spiele spielen, verschiedene Themen über das maristische Leben erarbeiten und so auch Alltagsprobleme der Kinder und Jugendlichen auffangen, denn viele kommen aus sehr einfachen Verhältnissen, wo die gesamte Großfamilie auf engem Raum zusammenlebt, unter Zeltplanen geschlafen wird, weil das Geld nicht für ein Haus ausreicht oder auch der Vater die Familie früh verlassen hat. Nebenbei prägen Alkoholismus, extreme Umweltverschmutzung durch Plastikmüll und ungewollte frühe Schwangerschaften auch das Leben der Einheimischen.
Diese trüben Seiten des bolivianischen Lebens werden aber durch das Lächeln der Kinder wieder ausgeglichen, denn immer wenn mich meine Schützlinge auf der Straße sehen, rufen sie mir ein herzliches „Simona“ zu und freuen sich, mich zu treffen, was mir auch immer ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Vor allem die Gastfreundschaft und herzliche Aufnahme zeichnen die Mentalität der Bolivianer aus. Anfangs bin ich auch öfters mit einem Kumpel vom Pastoral ins Fitnessstudio gegangen, Laufen gegangen, auch übe ich ein bisschen Gitarre spielen oder jetzt gehe ich hin und wieder mit einer Freundin zum Futsal oder Fußball spielen, ich darf aber auch Teil der örtlichen Schwesternfraternität sein, mit der ich jetzt schon zweimal eine Gebetsnacht bis zum Morgengrauen verbringen durfte. Zu meinen Herausforderungen zählt immer noch das Essen, da es hier wirklich jeden Tag Reis mit Fleisch oder Hühnchen gibt, auf der anderen Seite habe ich aber auch schon Spezialitäten wie Pan de Arroz, das ist eine Art Reisbrot, Gunjape, eine Art Käsebrot und Masaco, ein typisches Gericht aus Käse und Bananen probieren dürfen. Was mich regelmäßig Nerven kostet ist die extrem schwüle Hitze, die hier das Klima beherrscht und auch das Leben in der Kommunität zwischen verschiedenen Kulturen ist nicht immer einfach. Dafür verstehe ich Spanisch schon ziemlich gut und habe auch schon Freunde gefunden, mit denen ich gerne etwas gemeinsam in der Freizeit unternehme. Liebe Grüße aus Bolivien !
Simona im November 2019