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Für welche Erfahrungen bin ich am meisten dankbar und was nehme ich für mein Leben mit?

  • Beitrags-Kategorie:Simona

Wenn ich jetzt auf meine Zeit in Bolivien zurückblicke, merke ich, es ist viel passiert: Es gab zwar anstrengende Tage, aber gleichzeitig auch schöne und lustige Momente. Jetzt bin ich wieder zuhause und versuche zu reflektieren, was mich in dieser sehr abwechslungsreichen Zeit besonders geprägt hat.

Zunächst bin ich in einer für mich komplett neuen Kultur eingetaucht, die mir in vielen Hinsichten einfach ein bisschen „verrückt“ vorkam. Nach der anfänglichen Phase der vollkommenen Begeisterung von allem was irgendwie anders wie daheim war, holte mich aber auch bald wieder die Realität auf den Boden der Tatsachen und so habe ich mit der Zeit gelernt, diese für mich ungewöhnliche Lebensweise wertzuschätzen und mit den verschiedenen Menschen umzugehen. Beispielsweise ist es mir nämlich anfangs ziemlich schwergefallen mit der etwas langsamen und gemütlichen Art klarzukommen. Jedoch bot die Gemütlichkeit viel Zeit zum Ausruhen und entspanntem Arbeiten ohne Leistungsdruck, aber auch immer für ein kleines Gespräch, Musik und gute Laune zwischendurch, sei es während dem Unterricht in der Schule oder in einem der weiteren Projekte. Irgendwie nehme ich auch jetzt vieles lockerer und entspannter.

Auch die Erfahrung mit viel einfacheren Lebensstandards glücklich zu sein hat mich sehr beeindruckt. Wir hatten zum Beispiel nur einen Kaltwasseranschluss zum Geschirr abspülen und Wäsche waschen, auch kam es vor, dass uns während des Generalstreiks das Gas und das Wasser abgedreht wurden und Lebensmittel wie Obst und Gemüse nicht mehr in die Lebensmittelgeschäfte geliefert wurden. Die ärmeren Familien hatten nicht viel mehr als eine kleine Lehmhütte oder eine Zeltplane auf Pfählen zum Leben und doch machten sie einen sehr zufriedenen Eindruck auf mich. Die Kinder strahlten und lachten immer über das ganze Gesicht, obwohl sie oft nur einen kaputten Fußball oder alten Autoreifen zum Spielen hatten.

Insgesamt bekam ich einen wirklich herzlichen und offenen Eindruck von den Menschen dort, so halfen mir vor allem der Schnitzmeister und seine Mitarbeiterin im Nationalpark sowie der örtliche Pfarrer mich in San José de Chiquitos wirklich wohlzufühlen und nahmen mich gerne bei ihren Arbeiten mit.

Insbesondere hat mich aber auch der Bezug zum Glauben der Menschen dort beeindruckt, denn während in Deutschland oft Glaube und Religion im Leben und Alltag zurückgestellt werden, stellen der christliche Glaube und die damit verknüpften inneren Werte einen zentralen Bestandteil des alltäglichen Lebens in San José de Chiquitos dar: Beim Morgenapell in der Schule werden gemeinsam Lieder zur Lobpreisung Gottes gesungen und dazu getanzt, Jugendliche und Kinder begleiten voller Freude musikalisch die lebhaften Gottesdienste und kirchlichen Veranstaltungen und sogar beim Verabschieden hört man wirklich immer die Worte „Que te vaya muy bien y dios te bendiga siempre!“, was übersetzt so viel wie „Dass es dir sehr gut geht und Gott dich immer segnet!“ bedeutet. Dieser tatsächlich gelebte Glaube bestärkt die Menschen in ihrem Leben und gibt ihnen Kraft, was ich selber spüren konnte.

Meine Zeit in Bolivien lief nicht immer so, wie ich sie mir vorgestellt habe, irgendwie kam der einmonatige Generalstreik dazwischen und zum Schluss machte Corona uns einen Strich durch die Rechnung, so konnte ich leider nicht wie gewollt in den Projekten mithelfen. Auch die Bedeutung von Freiwilligendienst einhergehend mit meinen Aufgaben als Freiwillige in den Projekten habe ich mir oft anders vorgestellt. Nicht zuletzt die Beziehung zu meiner Gastfamilie half mir nicht unbedingt, mich immer gut aufgehoben zu fühlen, vielleicht auch weil sie meine Vorstellung von einem gegenseitigen Geben und Nehmen nicht erfüllte. Wir lebten gemeinsam in einer Kommunität zusammen, doch den interkulturellen Unterschieden und anfänglichen Sprachbarrieren geschuldet, wurde ich vielen Alltagsherausforderungen gegenüber gestellt: Beispielsweise der Organisation der anfallenden Hausarbeiten, aber vor allem die Kommunikation mit meinen Gasteltern war nicht immer einfach. Dabei habe ich gelernt, für mich selber einzustehen und dennoch offen eine für mich fruchttragende und gesunde Bindung zu meinen Gasteltern zu schaffen.

Trotzdem habe ich die Erfahrung gemacht, auch hinter den dunkelsten Wolken ist irgendwo ein Regenbogen – es gibt überall auf der Welt Menschen, die mir gut tun, so umgebe ich mich einfach mit ihnen, denn ich habe im Leben immer eine Wahl:

Arbeite ich mich kaputt, um Menschen zu gefallen, die mir nie Anerkennung zurückgeben oder lasse ich mich durch wohltuende Menschen in dem, was ich tue, positiv bestärken?

Gehe ich an Herausforderungen zugrunde, weil die an mich gerichteten Erwartungen meine Ressourcen, diese Herausforderungen zu meistern, übersteigen oder erkenne ich, wann mir etwas zu viel wird und gebe diese Aufgabe ab?

Suche ich die Fehler für Kommunikationsschwierigkeiten immer an mir selbst oder habe ich den Mut gegenüber anderen für mich und meine Werte einzustehen?

Lasse ich mich durch aufkommende Einsamkeit in meiner Persönlichkeit einschüchtern und verunsichern oder suche ich aktiv nach mehr und verschiedenen sozialen Kontakten?

Habe ich die Tapferkeit und Ausdauer auf Positives zu warten und in Phasen der Enttäuschung Negatives einfach abzuschütteln oder würde ich eigentlich lieber wieder heimfliegen ohne mich schwach oder als Versager zu fühlen, da mich der Freiwilligendienst überfordert?

Veränderungen machen das Leben spannend und auch wenn etwas nicht unbedingt nach Plan läuft, hat es bestimmt etwas Positives an sich. Ich glaube, die positiven Erfahrungen stärken die Entwicklung meiner Persönlichkeit und an den Herausforderungen kann ich wachsen. Dabei ist es wichtig, vor allem die problematischen Erlebnisse gut zu verarbeiten, um auch für diese Erfahrungen dankbar sein zu können und etwas für mein Leben mitzunehmen. Doch das braucht Zeit und Ruhe.

Ich bin besonders dankbar für den geschützten Rahmen durch das CMI-Team, die uns Freiwilligen zur Verarbeitung genau diese Zeit und Ruhe bietet. Denn vor allem durch das Vor- und Nachbereitungsseminar wurden wir Freiwilligen zum Dienst hingeführt und auch mit all unseren Erlebnissen wieder zurückgeholt, aber auch während der Zeit im Ausland wurden wir getragen und begleitet.

Die gemeinsame Reflexion des Freiwilligendienstes im Vertrauen der Gruppe mit den anderen Freiwilligen hilft mir, meinen Blick auf die Erlebnisse zu weiten und den Fokus auch auf andere Dinge zu lenken. Durch den Austausch mit anderen habe ich das Gefühl, verstanden zu werden und nicht mit dem Erlebten allein zu sein. Immer wieder in den vielen Gesprächsangeboten über Erlebtes zu reden macht es mir einfacher, bestimmte Situationen für mich persönlich einordnen zu können, dazu gehören sowohl Positives als auch Negatives.

Um mit gutem Gefühl auf den Freiwilligendienst zurückzublicken, spielt meiner Meinung auch die persönliche Gewichtung der für mich positiven und negativen Erlebnisse eine Rolle, denn die Zeit im Ausland bestand zwar auch aus negativen Situationen, aber eben nicht nur. Wie wichtig waren die negativen Erlebnisse für den Gesamteindruck? Für mich bestand meine Zeit in Bolivien nur zum Teil aus Leben in der Kommunität und Tätigkeiten in der Schule, viel wichtiger und wertvoller sind mir aber die Erfahrungen beim Spielen mit den immer fröhlichen und gut gelaunten Kindern, meine Erfahrungen in der Gemeinschaft mit anderen Jugendlichen, beim Helfen im Nationalpark und in der Ministrantengemeinschaft oder auch beim Gestalten meiner Freizeit und beim Reisen in den großen Sommerferien. So lege ich meinen Fokus einfach auf die schönen Momente. Obwohl ich vielleicht doch noch mit gemischten Gefühlen an meine Erlebnisse in Bolivien zurückdenke, kann ich insgesamt so mit einem guten Gefühl einen Schritt weiter in Richtung Zukunft gehen.