Bevor ich dieses Thema für meinen Bericht bekommen habe, hab ich mir eigentlich gar nie solche Gedanken über die maristischen Werte gemacht. Klar ich konnte sie alle aufzählen: Einfachheit, Präsenz, Familiensinn, Liebe zur Arbeit und in der Weise Mariens. Aber so wirklich darüber nachgedacht, wie ich diese Werte aktiv in meinen Alltag hier in Addo einbringen kann, habe ich nicht. Jetzt erst fällt mir auf, dass mein Alltag nur so vollgepackt davon ist und ich ganz unbewusst maristisch handle. Am einfachsten fällt mir wohl meine Liebe zur Arbeit. Ich liebe meine Arbeit und die Kinder hier mehr als alles andere. Es gibt keinen Tag, an dem ich lieber im Bett bleiben und ausschlafen möchte, denn die Kinder im Créche zaubern mir jeden Tag ein Lächeln ins Gesicht. Und jedes Mal wenn ich merke, dass ich ihnen etwas beibringen konnte, bin ich so stolz, als wären es meine eigenen Kinder. Jeden Tag versuche ich mein Bestes zu geben, denn ich wünsche mir einfach nur, dass sie alle Freude am Lernen und Entdecken haben und sie somit hoffentlich den ersten Schritt in eine bessere Zukunft machen. Manchmal bin ich nur ein bisschen traurig, weil ich nicht jedes Wort von ihnen verstehen kann, aber andererseits bin ich auch richtig stolz auf diese einzigartige Art der Kommunikation, die ich mit ihnen aufgebaut habe. Wir haben unsere eigene Sprache. Ein Lächeln oder eine Umarmung für ein „Gut gemacht!“, ein bestimmtes Lied zur Toilettenpause, und wenn sie doch mal nicht hören wollen werden sie eben ausgekitzelt und dann wissen sie auch gleich, dass jetzt Schluss mit lustig ist!
Was sich damit auch gleich verbinden lässt ist Präsenz. Es bedeutet für mich, hier nicht nur körperlich anwesend zu sein, sondern auch geistig und emotional, einfach gesagt mit meinem ganzen Herzen hier zu sein. Es bedeutet für mich die Geschichten der Menschen zu kennen. Sie zu unterstützen wo ich kann, für sie da zu sein und ein offenes Ohr zu haben. Ich lebe hier ca. 10.000 km von Zuhause, in einer sehr armen Gegend und doch lauf ich durch unser Township „Valencia“ und habe keine Angst.
Nein, ich fühle mich sogar geborgen. Jeden Tag versuche ich meinen IsiXhosa Wortschatz zu erweitern und höre den ganzen Tag einheimische Musik. Voller Überzeugung kann ich von mir sagen, dass ich hier mit meinem ganzen Herzen angekommen bin. Die Menschen sind unfassbar freundlich und ich persönlich habe noch nirgendwo eine solche Hilfsbereitschaft erlebt. In den letzten 8 Monaten habe ich unglaublich viel von diesen Menschen gelernt.
Sie erinnern mich daran, dankbar zu sein für Dinge, die ich zuvor gar nicht mehr wahrgenommen habe. Ich habe gelernt nicht kompliziert zu denken, sondern die einfachste Lösung zu finden. Man redet nicht viel um den heißen Brei oder versucht etwas zu beschönigen. Hier wird vor allem eins: Zusammengehalten und auf Gott vertraut!
Einer der wichtigsten maristischen Werte ist für mich der Familiensinn. Obwohl auf unserem Grundstück so viele unterschiedliche Menschen, aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Generationen zusammenleben, sind wir doch wie eine große Familie. Jeder ist willkommen und jeder respektiert den anderen. Ich bin so unendlich dankbar, dass ich Teil dieser bunten Familie sein darf. Ich komme nicht um 6 Uhr abends heim, gehe in meine Wohnung und habe Feierabend. Hier gibt es immer was zu tun. Wir kochen zusammen und helfen uns bei den verschiedenen Haustätigkeiten, wie man es in einer normalen Familie eben auch macht. Das ist nicht immer einfach, denn hier überschneiden sich Arbeit und Privatsphäre. Die Menschen, mit denen ich zusammenlebe, sind nicht nur meine „Familie“, sondern gleichzeitig meine Arbeitskollegen. Da kommt es schon mal vor, dass man eigentlich genug voneinander hat, sich aber eben doch zusammenreißen muss. Meistens sehe ich diesen Punkt jedoch positiv und nutze die Vorteile. Wenn wir uns am Abend gemeinsam über die Arbeit austauschen oder zusammen den nächsten Tag vorbereiten, ist das oft hilfreich und witzig.
Alles in allem, versuche ich jeden Tag offen zu sein für alles was kommt und mein Bestes zu geben. Die Menschen hier zu unterstützen und ihnen zu helfen wo ich nur kann. Den Kindern im Créche jeden Tag aufs Neue zu zeigen, dass sie einzigartig sind und geliebt werden. Hier finde ich vor allem auch einen Spruch ganz passend, der auch in Sister Bredas Computerraum an der Wand hängt:
„The children who need the most love are often those, who ask for it in the most unloving ways“!
Liebe Grüße aus Addo, Südafrika <3
Selina im März 2018