Zwischenbericht aus Bolivien
Meine Einsatzstelle hier in Comarapa in Bolivien ist das Internat, das direkt neben der Kommunität der Brüder liegt, in der ich wohne. Das Internat ist nicht gleichzeitig eine Schule, wie man das sonst oft so kennt, sondern ist lediglich der Wohnort jener Jugendliche, deren Familien in weiter entfernten Dörfern wohnen, und sie nicht jeden Tag von dort aus hierher ins Colegio (die Schule) kommen könnten. Das Internat bietet Platz für 30 Jugendliche, je 15 Mädchen und Jungen von der 7. bis zu 12. Jahrgansstufe können dort unterkommen. Dieses, sowie letztes Schuljahr sind es insgesamt 27, wobei die Zahl der jüngeren deutlich überwiegt.
Unter der Woche verbringe ich täglich etwa 6h mit ihnen, einmal von 14 – 18 Uhr, und später noch einmal von 20 – 22Uhr. In dieser Zeit begleite ich sie bei den Hausaufgaben und helfe, wo ich kann/ wo ich gebraucht werde. Meistens ist auch die Direktorin des Internats dabei anwesend (oder zumindest im selben Gebäude), wodurch ich nicht alleine bin, falls mal Probleme aufkommen sollten, bei denen ich nicht weiterweiß.
Letztes Schuljahr (ein Schuljahr geht hier von Februar bis Anfang Dezember) bin ich außerdem gerne mit denjenigen, die an diesen Tag Küchendienst hatten, ins Colegio gegangen, wenn es im Internat nachmittags mal Leerlauf gab. Dort haben wir dann den 3 Köchinnen geholfen, das Abendessen vorzubereiten. Gemeinsam haben wir uns vor die Mensa gesetzt und Kartoffeln und Karotten geschält, Zwiebeln geschnitten und anderes Gemüse vorbereitet, dass ich zuvor noch nie gesehen hatte! Auch für dieses Schuljahr hoffe, ab und zu von 16 – 18 Uhr ein paar lustige Stunden mit meinen Internados so verbringen zu können.
Ansonsten verbringe ich viel Zeit in der Kommunität, in der ich mit zwei Brüdern, einem Laien und einem Kater wohne. Zweimal die Woche gehe ich mit in die Kirche und ebenfalls zweimal die Woche gibt es eine Art kleine Andacht mit der lokalen Maristengemeinschaft in unserer kleinen Hauskapelle. Das ist immer sehr schön und bietet eine Art meditative Oase im Alltag. Danach frühstücken bzw. essen wir gemeinsam zu Abend (bis zu 9 Personen sind wir normalerweise).

An den Vormittagen verbringe ich gerne Zeit mit unserer Köchin, die sechs Tage die Woche für uns kocht, oder begleite auch mal einen der Brüder, wenn er auf dem Markt Obst und andere Lebensmittel kauft. Im letzten Schuljahr habe ich außerdem auf freiwilliger Basis die Vormittagsunterrichtsstunden von Englisch und Kunst besucht, wodurch ich auch Außerhalb des Internats Kontakte knüpfen und andere Jugendliche kennenlernen konnte. Und wenn das Anfangschaos des neuen Schuljahres vorbei ist, werde ich auch dieses Jahr mit den entsprechenden Lehrkräften reden und mit Freude dorthin zurückkehren.
Doch für den Moment sind meine Vormittage noch frei und meine aktiven Aufgaben beschränken sich auf das Begleiten der Hausaufgaben im Internat. Dabei sitze ich mit den 7.- oder 8. -9. Klässler:innen zusammen am Tisch und bin tatsächlich meistens am Malen! Direkt aus dem deutschen Schulsystem kommend, hat mich das am Anfang sehr überrascht, aber wirklich viele der Hausaufgaben die ich hier zu Gesicht bekomme, erfordern einen gewissen Grad an künstlerischer Kreativität, z.B. als letztes Jahr eine Klasse Romeo und Julia las, sollten sie zu jeder Szene ein Bild malen. Oder etwa zu Beginn des Schuljahres wird auch erwartet, dass alle eine schöne Titelseite für jedes Fach gestalten. Dazu kommen Illustrationen für Hefteinträge in Englisch, Deutsch, Geografie und Kunsthausaufgaben selbst gibt’s natürlich auch… Und als jemand, die sehr gerne malt, helfe ich da natürlich mit viel Freude mit den Vorzeichnungen aus, wenn man mich danach fragt!

Abgesehen davon, macht es mir viel Spaß, bei den Englischhausaufgaben zur Hand zu gehen. Dieses Fach wird hier erst ab der 7. Klasse gelehrt, und bis zur 12. hin bleibt es eher bei der grundlegenden Grammatik und sehr einfachem Vokabular, dementsprechend ist es sogar auf Castellano (die Art Spanisch, die hier gesprochen wird) ein leichtes für mich, die verschiedenen Themen zu erklären.
Der für mich schönste Aspekt meines Lebens im Gastland ist es aber, die Kinder und Jugendlichen des Internats, aber auch externe Erwachsene persönlich kennenzulernen und Fremde in vertraute Gesichter mit Namen und Persönlichkeit zu verwandeln. Denn es ist so verrückt darüber nachzudenken, wie viele Leute in diesem Moment auf der Welt leben, die wir nie kennenlernen werden! Und wie viele davon wir vielleicht zu unseren besten Freund:innen zählen würden, wäre die Chance gegeben! Wenn ich damals „Nein“ zu CMI gesagt hätte, wäre ich so vielen Leuten, die ich heute kenne, nie begegnet. Ich bin so froh, mich für die Volontärszeit entschieden zu haben, denn all die interessanten Begegnungen die ich seit meiner Ankunft erfahren durfte, haben mein Leben auf so vielen Weisen beeinflusst und bereichert.

Und jetzt, zum Neubeginn des Schuljahres bin sehr glücklich mit meiner neuen Rolle als quasi „alter Hase“ des Internats. Denn nachdem nun einige der vorherigen Jugendlichen abgegangen, und dafür einige neue, jüngere nachgerückt sind, bin nun nicht mehr ich die Fremde in einer neuen Umbegung. Stattdessen bin nun ich diejenige, die sich schon auskennt und kann helfen, sie mit Internatsalltag vertraut zu machen und sie durch den Neustart und darüber hinaus begleiten.
Eine Sache, die mir, vor allem während meiner Reisen im Januar bewusst geworden ist, ist die enorme Chancenungleichheit, die zwischen jeder einzelnen bolivianischen Person, die ich getroffen habe, und mir liegt. Wer bin ich, dass ich die Möglichkeit hatte, nach belieben sieben der neun Departamentos in nur einen Ferien zu besuchen? Während viele der Einheimischen selbst nur zwei oder drei, wenn überhaupt kennen? Wer bin ich, von meinen Reisen zu erzählen, den Flamingos, Vulkanen, der Salzwüste und dem Regenwald, während Kinder die Ferien arbeitend auf den Feldern ihrer Familie verbracht haben? Mit dem Euro-Bolivianos Wechselkurs bin ich hier reich ohne Ende, doch umgekehrt könnte niemand hier Europa so bereisen, wie wir Europäer:innen es mit Südamerikanischen Ländern tun. Nicht mit unseren Preisen. Und hier in Bolivien bin ich, und habe in einem Monat mehr von dem Land gesehen, als es viele Bolivianer:innen in ihrem ganzen Leben werden, einfach, weil ich kann. Und das ist, ganz einfach gesagt, unfair.
Ich würde sagen, dass meine Zeit in der Einsatzstelle ohne eine andere Volontärin perfekt für mich ist und ich habe mir nie gewünscht, dass es anders wäre. Ich kann meine freie Zeit verbringen, wie ich will und habe genügend allein-Zeit. Ich glaube auch, dass es so noch mal leichter war, in die Sprache zu kommen, da ich ausnahmslos von Spanisch war, ohne Pause. Und so kann ich mich auch nicht vergleichen, z.B. wer von uns beiden besser Anschluss findet, wer die Sprache besser und schneller beherrscht, wer mit bestimmten Leuten/ den Brüdern vielleicht besser zurechtkommt oder auch von anderen bevorzugt wird. Diesen Druck, den ich mir damit machen würde, habe ich alleine nicht.
Nur vielleicht bei Sachen wie Schulveranstaltungen oder Feiertagen, speziell, dem Carneval am Samstag habe ich mich erwischt, wie ich gerne jemanden gehabt hätte. Aber für diese Fälle wäre ja keine andere Volontärin an meiner Seite notwendig, gute lokale Freund:innen würdens auch tun.
In meiner persönlichen Erfahrung ist mir also nie die Gesellschaft einer anderen Volontärin abgegangen und ich habe diesbezüglich auch nie bewusst eine Herausforderung wahrgenommen.
