Seit vier Monaten lebe ich inzwischen in Yucatáns Hauptstadt Mérida im Süden Mexikos. Und trotz Vorbereitungsseminaren, Gesprächen mit Ex-Freiwilligen und ersten Kontakten mit Mexikanern schon in Deutschland war ich am Ende doch ziemlich aufgeregt: Wie wird das Leben in einer zunächst völlig fremden Familie sein? Was, wenn meine Arbeit hier mir gar nicht liegt? Werde ich in die Fußstapfen treten können, die vorherige Freiwillige hinterlassen haben? Ein paar dieser Sorgen begleiteten mich auch die ersten Wochen noch, doch jeden Tag lebte ich mich mehr ein und inzwischen fühle ich mich in meiner Familie und in meinen Projekten sehr wohl.
Meine Freiwilligenarbeit geht hauptsächlich von der Universidad Marista Méridas aus. Verschiedenste soziale Projekte werden hier vom Pastoralbüro koordiniert, wo ich zusammen mit dem Direktor Tony, Yuca und dem Maristenbruder Lalo arbeite. Die Atmosphäre in der Uni hat mir vom ersten Tag an gefallen: Aus der Caféteria schallt den ganzen Tag Musik über den Campus, das Verhältnis zwischen den Studenten und deren Dozenten ist meist ein sehr lockeres und freundschaftliches und so werden auch fast alle geduzt.Das Proyecto Huertos de Traspatio, was wörtlich „Gemüsegärten im Hinterhof“ bedeutet, wird von meinem Gastvater Jorge geleitet. In kleinen Dörfern in der Nähe Méridas wurden bei 52 Familien vor sieben Jahren Gartensysteme eingerichtet. Die Produkte, die die Familien dort ernten können, sollen zum eigenen Konsum und auch zum Verkauf dienen. Jeden Samstag um 9 Uhr treffen Jorge und ich uns mit anderen freiwilligen Studenten und versorgen die Huertos-Besitzer mit neuen Samen und Setzlingen. Letztere ziehen Jorge und ich unter der Woche im Gewächshaus der Universität auf: Wir sähen, gießen und trennen Setzlinge in größere Kästen. Das Huertos-Projekt hat in den letzten Jahren einige Höhen und Tiefen erfahren: Viele Familien arbeiten kaum oder gar nicht mehr in ihren Gärten. Teil unserer Besuche in den Dörfern ist es daher auch, die Teilnehmer des Projektes immer wieder zu motivieren.
Viel Zeit verbringe ich auch mit der Vorbereitung und Durchführung von Englischkursen im Centro Stella Maris in Progreso, einer kleinen Hafenstadt 30 Minuten von Mérida. Stella Maris besteht als Gemeinschaftszentrum für Fischer und Seefahrer weltweit an vielen Häfen. Die Besonderheit in Progreso ist, dass die Maristen neben den Angeboten für Fischer auch für die restliche Bevölkerung Progresos Kurse anbieten. Seit September fahre ich Montag- und Mittwochnachmittag mit dem Bus nach Progreso und gebe einer bunten Gruppe von 6-10 Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Englischkurse. Das Ziel ist, den Menschen grundlegende Englischkenntnisse zu vermitteln. Aufgrund der verschiedenen Vorkenntnisse der Teilnehmer fielen mir die Englischkurse anfangs sehr schwer. Mit mehr Erfahrung und auch der Hilfe von Anais, Belgischen Austauschstudentin Anais, die mich manchmal nach Progreso begleitet, läuft der Kurs inzwischen sehr gut.
Immer Donnerstags bin ich außerdem im Projekt Construyendo Puentes, was so viel wie Brücken bauen heißt. Der Name trifft es gut, denn hier bekommen junge Erwachsene trotz Behinderung die Möglichkeit, einen Studiengang zu besuchen und später einer Arbeit nachzugehen. In 10 Semestern besuchen die Studenten hier neben Computer-Unterricht, Sexualkunde oder Kochen auch normale Kurse der Universität. Zusammen mit anderen Studenten bin ich während des Unterrichts anwesend und helfe den Schülern z.B. bei Arbeitsblättern, Hausaufgaben oder begleite sie zur Pause und dem Mittagessen in die Caféteria.
Mit dem Bruder Lalo fahre ich jeden Samstagnachmittag ins CEMADE im sozial und finanziell benachteiligten Süden Méridas. Ähnlich dem Stella Maris ist auch das CEMADE ein Gemeinschaftszentrum, samstags wird für Kinder der Umgebung in verschiedenen Gruppen Katechismus unterrichtet. Seit August besteht auch hier mit den Brüdern Augustin, Noé und Jorge eine neue Maristenkommunität. In den kommenden Monaten soll im CEMADE eine Art Mini-Bauernhof entstehen. Vor kurzem schloss ich mich einer kleinen Studentengruppe an, die immer Mittwochvormittag in den Süden fährt, um dort z.B. mit Unkraut jäten oder der Vorbereitung von Kompost die Errichtung des neuen „CEMADE-Bauernhofs“ zu unterstützen.
Jeden Freitagmorgen fahre ich mit dem Bus zum Colegio Montejo, der Maristengrundschule Méridas. Der Tag beginnt hier immer um halb acht mit einem Gottesdienst. Zusammen mit den Mitarbeitern Dulce, Gicelly und Wily helfe ich auch hier bei allen möglichen Aktivitäten des Pastoralbüros mit. Alle zwei Wochen organisieren wir nachmittags die Gruppe „Marcha“, was für Marcellin Champagnat steht. Mithilfe von Spielen und anderen Aktivitäten sollen den Fünft- und Sechstklässlern hier Werte vermittelt werden.
Seit etwa zwei Monaten bin ich außerdem Teil der Gruppe Compartir, was „Teilen“ heißt. Jeden Dienstag Abend treffen wir uns vor dem staatlichen Krankenhaus O´Horan in Mérida und verteilen eine Kleinigkeit zu Essen unter den wartenden Angehörigen. Viele sind schon einige Wochen dort und schlafen zum Teil sogar auf dem Betonboden vor dem Krankenhaus. In Compartir wollen wir nicht nur essen, sondern vor allem auch Zeit teilen. Zu sehen, wie die Menschen dort trotz der Sorge um ihre Angehörigen den Mut nicht verlieren und ihre Geschichten, traurige und fröhliche, mit uns teilen, beeindruckt mich jedes Mal sehr.
Hatte ich in meinen ersten Tagen in Mérida noch den Eindruck, es gäbe nicht viel zu tun, füllten sich meine Tage mit der Zeit mit immer mehr Projekten und Aufgaben. Manchmal war ein wenig Eigeninitiative gefragt, aber die Möglichkeiten, sich einzubringen sind sehr vielfältig. Durch die verschiedenen Projekte komme ich in Kontakt mit Menschen aller möglichen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten, gerade diese Vielfalt gefällt mir sehr.
Mit der Zeit konnte ich so auch einige Freundschaften schließen, mit denen ich am Wochenende und an freien Abenden etwas unternehmen kann. Mérida bietet da fast unendlich viele Möglichkeiten: Sowohl in der Stadt selbst auch in der Umgebung gibt es viel zu entdecken. Mit Freunden oder meiner Gastfamilie habe ich so zum Beispiel schon Maya-Pyramiden, Strände, Cenoten und Kleinstädte Yucatáns und seinen Nachbarstaaten Campeche und Quintana Roo kennen gelernt, und auch für dich nächsten Monate bleibt mir noch viel zu entdecken.
Angela im Dezember 2016