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Erster Bericht aus Bolivien 2023/2024

Ein großes Hola aus Bolivien!


Ich kann kaum glauben, dass es ist inzwischen fast sieben Monate her, dass ich in meinem Gastland angekommen bin! Es gibt so viel, dass ich erzählen könnte, doch eine Sache möchte ich direkt vorneweg nehmen: es ist absolut fantastisch lang bereut, mich für diese Volontärszeit entschieden zu haben. Und wenn ich in Deutschland noch bis zum Abflug Probleme hatte mir vorzustellen, was da jetzt eigentlich genau auf mich zukommt, so habe ich nun bereit so viele umso buntere und schönere Erinnerungen gesammelt, die dieses Fragezeichen füllen.

Meine Einsatzstelle hier in Comarapa in Bolivien ist das Internat, das direkt
neben der Kommunität der Brüder liegt, in der ich wohne. Das Internat ist nicht gleichzeitig eine Schule, wie man das sonst oft kennt (Hogwarts ist da ein Beispiel, das mir spontan einfallen würde), sondern lediglich der Wohnort jener Jugendliche, die aus den zu Comarapa gehörenden kleinen Ortschaften kommen. Diese liegen nämlich zum Teil so weit entfernt, dass der tägliche Schulweg von dort zum Colegio schlichtweg nicht möglich wäre. Das Internat bietet Platz für 30 Jugendliche, je 15 Mädchen und Jungen von der 7. bis zu 12. Jahrgansstufe, woraus eine Altersreichweite von elf bis 18 Jahren resultiert. Dieses, sowie letztes Schuljahr sind es insgesamt 27, wobei die Zahl der jüngeren deutlich überwiegt.

Unter der Woche verbringe ich täglich etwa 6h mit ihnen, einmal von 14 – 18 Uhr, und später noch einmal von 20 – 22Uhr. In dieser Zeit werden vorrangig Hausaufgaben gemacht und gelernt, doch vor allem in den Abendstunden wird nach erledigten Pflichten auch schon gern mal das Mensch-Ärgere – Dich Nicht Spielbrett hervorgekramt.

Neben den Jugendlichen und mir ist ansonsten meist noch die Direktorin des Internats anwesend oder zumindest im selben Gebäude, wodurch ich normalerweise nicht auf mich alleine gestellt bin (wobei das inzwischen nun kein Problem mehr wäre, nach all den Monaten weiß ich schon, wie der Hase läuft!).

Vor den Ferien bin ich außerdem regelmäßig mit dem Küchendienst des Tages in die große Küche des Colegios gegangen, wenn am Nachmittag im Internat ansonsten Leerlauf war. Die ständig rotierenden Küchendienst Gruppen aus Jugendlichen des Internats, helfen dort den drei Köchinnen, das Abendessen vorzubereiten. Gemeinsam haben wir uns vor die Mensa gesetzt und Kartoffeln und Karotten geschält, Zwiebeln geschnitten und anderes Gemüse vorbereitet, dass ich zuvor noch nie gesehen hatte. An diese gemeinsamen Stunden habe ich einige sehr schöne und auch lustige Erinnerungen!

Ansonsten verbringe ich viel Zeit in der Kommunität, in der ich mit zwei Brüdern, einem Maristen Laien und einem Kater wohne. Doch seit den Ferien im Dezember/Januar bin ich auch sehr viel draußen in der Natur unterwegs und genieße die einmaligen
Landschaftsbilder, die sich mir hier bieten! Das ist eine Sache, die ich über die vergangene Zeit wirklich lieben gelernt habe. Ein paar Mal haben wir auch schon kleine Ausflüge zusammen gemacht, wie etwa verschiedene Obstplantagen, die Laguna Verde oder die nahegelegene Ranch der Maristen besucht.

Abgesehen davon gehen wir regelmäßig in die Kirche, und zweimal die Woche findet eine kleine Gebetsrunde mit den Mitgliedern der lokalen Maristen Gemeinschaft in unserer kleinen Hauskapelle statt. Das ist immer sehr schön und bietet eine Art meditative Oase im Alltag, und danach frühstücken bzw. essen wir gemeinsam zu Abend.
An den Vormittagen, an denen ich nicht spazieren gehe, verbringe ich gerne Zeit mit unserer Köchin. An sechs Tagen die Woche werden wir in der Kommunität hier fürstlich von ihr mit dem besten Essen der Welt versorgt, und da nutze ich schon gerne mal die Gelegenheit, mir zwischen dem Gemüse schnipseln und dem Abwasch das ein oder andere Rezept zu notieren. Und wenns uns mal an irgendetwas fehlt, begleite ich sie oder einen der Brüder gerne zu dem nahgelegenen Markt, wo wir unsere Lebensmittel kaufen.

Bereits im letzten Schuljahr habe ich außerdem schon auf freiwilliger Basis die
Vormittagsunterrichtsstunden von Englisch und Kunst besucht, wodurch ich auch außerhalb des Internats Kontakte knüpfen und andere Jugendliche kennenlernen, und schlussendlich sogar zwei Klassenausflüge begleiten konnte! Auch in diesem Jahr bin ich wieder aktiv im Kunstunterricht dabei, und es ist Mal aufs Mal interessant, den bolivianischen Schulalltag und -unterricht so direkt aus Schülerinnenperspektive erleben zu können. Die andere Grundstimmung in den Klassen und das locker – freundschaftliche
Verhältnis der Profs zu den Schüler:innen unterscheidet sich sehr von dem, was ich aus dem deutschen Schulalltag gewohnt war und es ist einmalig, diese Einblicke in das bolivianische Bildungssystem zu bekommen.

Doch wiegesagt, das ist rein freiwillig, und meinen eigentlichen Platz in diesem Projekt finde ich als Unterstützung bei den Hausaufgaben im Internat. Und was es da nicht immer alles zu erledigen gibt! Anfangs bin ich beinahe ausschließlich bei den künstlerischen Hausaufgaben zum Einsatz gekommen – und ich schreibe ganz bewusst künstlerische Hausaufgaben und nicht Kunsthausaufgaben, denn bisher ist mir glaube ich kein Fach untergekommen, das nicht an einem Punkt schon einmal irgendwelche Zeichnungen oder Illustrationen für den Hefteintrag verlangt hat, sei es Deutsch, Biologie, Musik oder sogar Sport!
Doch dabei ist es nicht geblieben. Ich helfe beim Texte zusammenfassen, Vatertagskarten und Lebensläufe schreiben, gehe bei Projekten wie Sonnensystem Aufsteller basteln zur Hand, und, ganz wichtig, übe mit den Primeros Englisch. Dieses Fach wird hier erst ab der 7. Klasse (=Primaria de Secundaria) gelehrt, und bis zur 12. hin bleibt es eher bei der grundlegenden Grammatik und sehr einfachem Vokabular, dementsprechend ist es sogar auf Castellano (die Art Spanisch, die hier gesprochen wird) ein leichtes für mich,
die verschiedenen Themen zu erklären. Auch im Bereich der Mathematik hat sich inzwischen mein Vokabular gefestigt, und die letzten Tage habe ich im Internat wenig anderes gemacht, als mit den Primeros über und über Potenzrechnungen zu üben.

Der für mich schönste Aspekt meines Lebens im Gastland ist es aber, die Kinder und Jugendlichen des Internats, aber auch externe Erwachsene, persönlich kennenzulernen und Fremde in vertraute Gesichter mit Namen und Persönlichkeit zu verwandeln. Denn es ist so verrückt darüber nachzudenken, wie viele Leute in diesem Moment auf der Welt leben, die wir nie kennenlernen werden! Und wie viele davon wir vielleicht zu unseren besten Freund:innen zählen würden, wäre die Chance gegeben! Wenn ich damals „Nein“ zu CMI gesagt hätte, wäre ich so vielen Menschen, die ich heute kenne, nie begegnet. Ich bin so froh, mich für die Volontärszeit entschieden zu haben, denn all die interessanten Begegnungen die ich seit meiner Ankunft erfahren durfte, haben mein Leben auf so vielen Weisen
beeinflusst und bereichert. Vorher war Bolivien für mich einfach ein Land, irgendwo da drüben in Südamerika und kein Begriff, der irgendwelche Assoziationen hervorrufen würde. Aber jetzt hat dieses Wort Charakter bekommen,
viele Gesichter, die ich nun auf immer mit diesem Land verbinden werde!

Die Brüder, meine Internados, die Profs des Colegios, die Jugendlichen aus allen Teilen des Departamentos Santa Cruz, die ich in den Ferienlagern getroffen habe! Bolivien ist die nette Hostelbesitzersfamilie, die mich mit auf den Weihnachtsmarkt genommen hat und der Tourguide, der sich im Regenwald so fantastisch um uns gekümmert hat. Bolivien sind die zwei kleinen Töchter der Schulpsychologin, mit denen ich schon so viele lustige Stunden verbracht habe, die Catequistas, die mich so wunderbar aufgenommen haben, als ich im September das 1. Mal bei einem ihrer Treffen aufgetaucht bin und all die
selbstverständliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die mir hier überall entgegengebracht wird. Bolivien hat ist nicht länger nur ein Wort für mich, sondern ein Lebensgefühl, ein Land mit Persönlichkeit und Namen. Ganz egal, ob erst 2 Jahre alt oder schon 74, ob ich sie täglich in meinem comarapenischem Alltag sehe oder ob es nur eine minutenlange Reisebekanntschaft war, ich habe während der letzten Monate so viele fantastische Meschen kennenlernen dürfen, die einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen haben. Und dafür, dass das alles möglich ist, dass ich Momente teilen kann, diese tiefen Einblicke in die bolivianische Kultur und Mentalität bekomme und dass mein Horizont mit jeder Begegnung ein wenig weiter scheint, bin ich so unendlich dankbar.

Eine konkrete Erfahrung, die ich als Volontärin zum Anfang des Schuljahres machen konnte und die mich sehr glücklich gemacht hat, war außerdem mein Rollentausch von „der Neuen“ im Internat zum „alten Hasen“. Mit dem Neustart ist durch den Abgang einiger, nun ehemaliger Internados, und dementsprechenden Nachrücken vieler Neuer eine gewisse neue Dynamik ins Haus gekommen, in der ich auf einmal nicht mehr die Neueste im Bunde war, sondern jemand, die sich bereits auskennt. Aus dieser Situation heraus war es wunderbar, nicht nur bei den ersten eintrudelnden Hausaufgaben des beginnenden Jahres zu helfen, sondern auch den Übergang der Primeros vom Leben daheim zum
Leben im Internat zu begleiten, für sie da zu sein und mit dem neuen Alltag vertraut zu machen. Inzwischen, zwei Monate ins Schuljahr hinein, ist es so schön zu sehen, wie sich die Dinge entwickelt habe und wie auch diese neue Konstellation zu einer großen Internatsfamilie zusammengewachsen ist.

Was die weitere Zukunft noch so alles bringen wird, kann jetzt noch niemand wissen. Aber ich blicke jedenfalls voll freudiger Erwartung auf meine verbleibende Zeit im wunderschönen
Bolivien!

Liebe, und sehr, sehr glückliche Grüße aus der Ferne!